Haplogruppe J2b-L283 bei Albanern
Die Haplogruppe J2b-L283 stellt mit etwa 16 % der albanischen Männerlinien die dritthäufigste Y-DNA-Linie dar. Ihr Hauptverbreitungsgebiet liegt heute klar innerhalb der albanischen Bevölkerungsräume, wobei sie außerhalb dieser Gebiete selten über einen Anteil von 5 % hinausgeht. Innerhalb Albaniens zeigt sich eine deutliche Häufung im Norden und Nordosten, während ihre Präsenz in südlicheren Regionen allmählich abnimmt. Die genetische Verteilung dieser Linie und ihrer Unterzweige lässt sich überzeugend mit den historischen illyrischen Stammesgebieten in Verbindung bringen – in vielen Fällen lassen sich regionale Verzweigungen direkt auf antike Bevölkerungseinheiten zurückführen.
Ursprünge von J2b-L283
Der Ursprung dieser Haplogruppe lässt sich auf einen Zeitraum von etwa 5500 bis 6000 Jahren vor heute datieren. Die bislang ältesten Vertreter von J2b-L283 stammen aus dem nördlichen Kaukasusraum sowie aus dem östlichen Teil Europas. Besonders bemerkenswert ist ein Fund aus dem heutigen Südrussland nördlich des Kaukasus, der über 6000 Jahre alt ist – ein seltener Fall, bei dem genetische und archäologische Zeitleisten nahezu deckungsgleich sind. Weitere frühe Spuren finden sich in der Republik Moldau, datiert auf etwa 5000 Jahre vor heute. Alle diese Nachweise stammen aus dem Umfeld der sogenannten Yamnaya-Kultur, einer indoeuropäischen Bevölkerungsgruppe, die für ihre weitreichenden Wanderungen und ihre prägenden kulturellen Einflüsse bekannt ist. In jener Epoche konzentrierte sich J2b-L283 offenbar im Raum zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer, einem Zentrum der frühen indoeuropäischen Expansionen.
Verbreitung Richtung Balkan und Italien
Im Verlauf des 3. und 2. Jahrtausends v. Chr. breitete sich J2b-L283 sukzessive nach Südosteuropa aus. Ein besonders früher Nachweis auf dem Balkan stammt aus der Vojvodina, zugeordnet der Maros-Kultur, und wird auf etwa 2100–1800 v. Chr. datiert. In den folgenden Jahrhunderten treten Vertreter dieser Linie in hoher Dichte in einem Gebiet zwischen Nordalbanien und Zentral-Kroatien auf – insbesondere im Raum um Cetinje. Die chronologische Staffelung dieser Funde legt nahe, dass sich J2b-L283 über den zentralen Balkan hinweg in westlicher Richtung bis zur Adriaküste ausgebreitet hat.
Noch vor der historisch fassbaren Herausbildung der illyrischen Stämme war J2b-L283 damit bereits fester Bestandteil der genetischen Landschaft dieser Region. Auch auf der anderen Seite der Adria, in Süditalien, lassen sich Spuren dieser Linie nachweisen – unter anderem in Apulien, bei den Etruskern sowie auf Sardinien, allerdings in deutlich geringerer Konzentration. Diese Wanderungsbewegungen erfolgten vermutlich sowohl auf dem Seeweg als auch über den Landweg. Historische Quellen erwähnen in diesem Zusammenhang die Messapier, deren Wurzeln vielfach mit dem westlichen Balkan in Verbindung gebracht werden. Ergänzt wird dieses Bild durch mykenische DNA-Funde aus dem 17. Jahrhundert v. Chr., in denen ebenfalls Vertreter von J2b-L283 nachgewiesen wurden – offenbar Zuwanderer aus dem Norden.
Bedeutung unter Albanern
Im Verlauf der römischen Antike und vor allem in der Völkerwanderungszeit scheint sich der Anteil von J2b-L283 in weiten Teilen des westlichen Balkans deutlich verringert zu haben. In Ländern wie Griechenland, Italien, Montenegro oder Kroatien liegt der heutige Anteil bei unter 5 %. Ganz anders stellt sich die Lage bei den Albanern dar: Dort konnte sich die Linie nicht nur erhalten, sondern erfuhr im Verlauf des frühen Mittelalters eine neue Ausbreitung – vor allem in den nordalbanischen Gebirgsregionen.
Besonders hohe Werte (teils über 40 %) finden sich in Gebieten wie Tropoja, Deçan, Gollak, Malësia e Madhe, Mat und Dibra. Auch die genetische Vielfalt innerhalb der Linie ist in diesen Regionen besonders hoch – vor allem in der Zone zwischen Pukë, Martanesh und Dibra, was auf eine sehr lange lokale Präsenz hindeutet.
Der Großteil der heutigen Träger gehört einem Unterzweig namens J2b-L283>Z638 an, der sich vor etwa 4200 Jahren herausgebildet hat. Diese Linie wurde bereits in antiken Funden aus dem Gebiet des heutigen Albanien, Montenegro, Apuliens, Etruriens und Süddalmatiens identifiziert. Innerhalb dieses Zweigs war insbesondere Y15058 über viele Jahrhunderte hinweg der dominante „Bruderzweig“. Dessen Abspaltung vor rund 4500 Jahren lässt vermuten, dass sich die heutigen albanischen Linien in direkter Folge aus den östlich- und südillyrischen Stämmen entwickelt haben – eine Beobachtung, die sich auch bei anderen genetischen Linien wiederholt.
Die wichtigsten albanischen Unterzweige innerhalb von J2b-Z638 sind:
- J-Z638 > Y20899 > PH1751
- J-Z638 > Y20899 > Y109700
- J-Z638 > Z1297 > Y82533
- J-Z638 > Z1297 > Z1295 > Y21878
- J-Z638 > Z1297 > Z1295 > Z631
Besonders bedeutsam ist dabei der Zweig Y21878, der unter anderem in bronzezeitlichen Gräbern bei Kotor, in Apulien und etwa 2500 Jahre alt in Kukës vorkommt. Diese Linie lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit den Ardianern, Messapiern und möglicherweise auch den Dardanern zuordnen.
Auch die Gruppe Z28300 (zu der PH1751 und Y109700 gehören) zeigt eine bemerkenswerte Vielfalt, die bis in die Zeit um 1300 v. Chr. zurückreicht. Ihre heutige Konzentration in der Region Pukë–Mat–Mirditë–Martanesh lässt darauf schließen, dass es sich hierbei um eine der dominierenden väterlichen Linien der historischen illyrischen Kernbevölkerung handelt.